Leseliste Winter 2018/2019

Lääselischde vum siddim Aalege

Golo Mann im Interview mit Günter Gaus

über Realpolitik und Moral in der Politik – so aktuell
Nächsten Winter steht somit Wallenstein auf dem Leseprogramm.

Arthur Koestler im Interview mit Günter Gaus
über den Kommunismus – so aktuell

Thomas Bernhard, Auslöschung. Ein Zerfall (1986)
ein Muß, einer der Besten des 20. Jahrhunderts

Ernst Jünger, Rivarol
Aphorismen des Antoine Comte de Rivarol, übersetzt von Ernst Jünger. Treffender könnten die Einsichten dieses Zeugen der Französischen Revolution für die heutige Politik nicht sein. Die vorangestellten Kommentare des Jünger nicht minder.      –     Das Büchlein von 1962 trägt innen den Stempel „Axel Springer Verlag / Zentraltextarchiv/ Bibliothek, 44973“. Ich lese es zum x-ten Male. Während Tramfahrten.

Martin Walser, Statt etwas oder Der letzte Rank
Ja, das lese ich zum zweiten Male. Mir aus der Seele geschrieben, eine erleichternde Sicht auf das neue Leben nach dem Geldberuf.
So etwa diese Einsicht: ich stehe nicht mehr unter Beobachtung: von Kollegen und Konsorten.

Christa Wolf, Störfall – Nachrichten eines Tages
Hier geht es um weit mehr als um den Störfall. Zum Beispiel „das Doppelgesicht der Sprache“ … sie hat einst evolutiv „uns aus der Instinktgebundenheit befreit“. Doch „Sprache, die Identität schafft“, trägt zugleich dazu bei, „Tötungshemmung gegen den anderssprechenden Artgenossen abzubauen“. Beklemmend aktuell.  

Sabine Bode, Die deutsche Krankheit – German Angst (2008)

Sabine Bode, Nachkriegskinder – Die 1950-ger Jahrgänge und ihre Soldatenväter
Zum wiederholten Male gelesen. Öffnet die Augen über meine Generation. Wie wir ticken, die wir Anfang der 50-er geboren und erzogen wurden. Und was das in uns anrichtete. So wurden wir ohne Umstände nach Maßgabe der Dr. Haarer / sprich Reichsmütterschule erzogen (Babys unbedingt schreien lassen).
Und die Sprüche meiner Kindheit sind eben nicht Familientradition oder Zeitgeist, sondern die Sprüche von Erwachsenen, denen im Kriege u.a. die Streßtoleranz abhanden gekommen ist:
Dazu bist Du noch zu klein. Wie Du wieder aussiehst. Wenn Erwachsenen sprechen, halten Kinder den Mund. Das ist nichts für Kinder. Setz Dich gerade hin. Es wird aufgegessen, was auf dem Tisch steht. Entschuldige Dich. Geh da weg. Kannst Du mir mal sagen, was das soll. Dann geh doch rüber. Mein liebes Fräulein. Du bekommst keine Extrawurst. Da guckt man nicht hin. Das tut man nicht. Nimm die Hände aus den Taschen. Kinder ‚wollen‘ nicht, Kinder ‚möchten‘. Reiß Dich zusammen. Stell Dich nicht so an. Wenn Du einen Funken Verstand hättest. Denk doch mal an später. Du sollst es mal besser haben. Hast Du keine Ohren. Solange Du Deine Füße unter meinen Tisch stellst … schneidest Du Dir die Haare kurz. Mach nicht so ein Theater. Darüber spricht man nicht. Geh da nicht hin. Guck da nicht so hin. Das gehört sich nicht. Das kommt davon. Wer nichts wird, wird Wirt. Mußt Du immer das letzte Wort haben. Da hast Du Dir wieder was angewöhnt. Bloß keine Psychologie. Du hälst Dich da raus.
Dazu siehe auch
  Elternsprüche.

Jessica Düber, Sterben – Handreichung für einen rationalen Siuzid
Wie dem Leben würdevoll ein Ende bereitet werden kann, wenn Ärzte das nicht hinbekommen sollten.

Andreas Schäfer, Gesichter
Ein Krimi? Oder doch sehr gute Literatur. Das möchte man als Deutscher ja immer gerne unterscheiden: ist das Unterhaltung oder Höhere Literatur? Da haben es die Franzosen doch besser.
Eine Geschichte, die unter die Haut geht. Wie Bedrohung, Mißtrauen, das Außen eine Beziehung im Inneren zermürbt.

Manotti, Einschlägig bekannt
Wer die Verhältnisse in den Banlieus kennt, weiß, wie nah an der Wirklichkeit die Historikerin und Gewerkschafterin Thibault schreibt. Harter Polizeikrimi. Braucht Nerven.

Manotti, Roter Glamour
Mechanismen der Waffengeschäfte

Manotti, Letzte Schicht
Wie über die Köpfe der Arbeitnehmer hinweg Industrien verschachert werden, wie Konzerne unser Leben rüder dirigieren, als dies früher Despoten taten. Kritik an der herrschenden Kaste.

Susanna Moore, Aufschneider
Literarisch – stilistisch und im Tiefgang – unübertroffen. Mit das literarisch beste, was mir bei einem Krimi begegnete.

Peter Sloterdijk, Philosophische Temperamente – Von Platon bis Foucault
Und immer wieder: Sloterdijk wird unterschätzt

Michelle Obama, Becoming
Kein literarisches Highlight, aber doch ein kulturhistorisches Dokument.

Georges Simenon, at his best: Der Mann aus London (1934)

Georges Simenon, literarisch ausgezeichnete Titel, die ich mittlerweile das 6. Mal lese sind…  Maigret und die kleine Landkneipe(1931) / Maigret und der gelbe Hund (1931) mit atmosphärischem Concarneau vor dem Jriech, Hafen, Bistromenschen/ Maigret und der geheimnisvolle Kapitän (1932) mit dem Leben um die Schleuse von Ouistreham / Maigret bei den Flamen (1932) /Maigret in Nöten (1933) spielt in Charenton an der Écluse N° 1; Atmosphäre kleiner Hafenkneipen und der Kanalschleusen kennt Simenon von seinen eigenen Kanalfahrten / Maigret contra Picpus (1944) mit wunderbaren Schilderungen der Wochenendvergnügungen an der Seine mit Anglern, Seglern, Kleinen Leuten / Maigret als möblierter Herr (1951) / Maigret und der Minister (1954) /  Mein Freund Maigret (1948) mit wunderbarer Atmosphäre südfranzösischer Ferienorte / Maigret macht Ferien (1949) in Le Sable d’Olonne; befriedigend, wie Simenon mit den Notablen umspringt  / Maigret verteidigt sich (1954) / Maigret in Kur (1968) in Vichy

Das Paris von Maigret von 1962 zeigt dokumentarisch „Cleo“, der Film von Agnès Vargas: https://www.arte.tv/de/videos/001897-000-A/cleo-mittwoch-zwischen-5-und-7/

Francis Fyfield, Ein reines Gewissen (A Clear Conscience, 1994)
die  frühere Anwältin führt so weit in die Welt der armen kleinen Leute in London, daß es den Leser nahezu hinabzieht

Sjöwall/Wahlöö, Der Polizistenmörder
Ja, die Schreiber sind links, da kommt nur noch die Wand. Ganz im Gegensatz zum schwedischen Staat, der sich als sozialistisch versteht, doch nur die Kleinen Leute – also den Menschen -verachtet. Gute Schreibe. Aber durch den politischen Impetus literarisch leichtgewichtig. Wie schon Reich-Ranitzki meinte, daß politische Literatur naturgemäß keine Literatur im Sinne Kunst ist.

Sjöwall/Wahlöö, Der Mann auf dem Balkon (1970)
Moderne junge Leute dürften das ganze Drumherum als altmodisch empfinden. Nicht jedoch plot und nicht Schreibe ?

John le Carré, Agent in eigener Sache (1979)

Minette Waters, Die Bildhauerin (1993)

Peter Bruce, Schwerwettersegeln (2016)
Bei aller Segelfreude. Da vergehen Dir streckenweis Spaß und Mut

Christoph Hein, Gegenlauschangriff (2019)
So sehr ich immer DDR-Literatur verschlungen hatte, damals. Aber leben dort hätt ich nicht gewollt. Ich fürchte, ich hätt mir da zu oft den Mund verbrannt.

Und hier die weniger geistreichen Objekte der Begierde, die jedoch auch gelesen werden wollten, für die ich als gymnasial – also ex-clusiv – erzogener Deutscher mich grundlos schäme

Uderzo/Goscinny: Asterix in Italien/Asterix im Morgenland/ Asterix als Legionär/ Asterix und das Geschenk Cäsars
Dies alles ist Abortliteratur. Ich erinnere mich an meinen Deutschlehrer, der hatte Bertold Brecht als „Abortliteratur“ bezeichnet. Was waren das für rechte Zeiten auf der Schule damals. Derselbe Lehrer las mit Tränen in den Augen über Ernst Udet vor. Fliecher war er jewejst im Jriech.
Mit Abortliteratur bezeichne ich dann doch die Lektüre
ám bezeichneten locus.

Morris/Goscinny, Lucky Luke – Ma Dalton,
dito

Franquin, Gaston – Gesammelte Katastrophen
dito

Günter Faltin, Wir sind das Kapital (2015)
Amerikanisch angehauchte Schreibe: ein-zwei zugegeben gute Thesen, uferlos wiederholt.

James Grady, Die letzten Tage des Condor (2014)
Brutal, desillusionierend, spannend, wertvoll nicht .

Georges Simenon,
sosehr lesenswert  Simenons romans maigrets sind, diese sind farblos geschrieben:

Maigret und der einsame Mann (1971) /
Maigret und sein Revolver (1952) / Maigret und der Spitzel (1971)/ Maigret amüsiert sich (1957) / Maigret und die braven Leute (1962) / Maigret und die Bohnenstange (1951) / Maigret und das Schattenspiel (1932) / Maigret hat Skrupel (1958) / Maigret vor dem Schwurgericht (1960), Maigret und die verrückte Witwe

Ralph H. Dorschweiler, Schwarzwälder Schinken
nur weil ein Krimi im Badischen spielt, holt ihn das nicht aus der unteren Schublade

Minette Waters, Im Eishaus
in jeder Hinsicht Durchschnitt.

Voosen/Danielsson,
Später Frost und In stürmischer Nacht
Nur weil die beiden Krimis in Schweden spielen, sind sie noch lang nicht von Niveau – auf welcher Ebene auch immer.

Thomas Esche
sailingboat-based geographer/biologist/photographer/waldorfteacher on SY ROSEBUD, Home Port: Köpmanholmen/Västernorrland thomasesche@posteo.de

Schreib einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.