OKT ’18 „Der Große Sprung nach vorn“

Die letzten südschwedischen Häfen und der „Große Sprung nach vorn“

Liebe Freunde des Blogs!,       Hammer Havn/Bornholm, den 3.X.2018

Seit Kalmar ist Tabea an Bord. Erleichterung, nicht mehr allein segeln zu müssen. So werden die letzten Tage an Bord vergnüglicher und sind nicht nur ein Der-Kälte-Trotzen. Geprägt werden diese Oktobertage von dem Vorgefühl, der inneren und äußeren Vorbereitung auf den Absprung nach Deutschland. Die beiden großen Überfahrten Utklippan-Bornholm, Bornholm – Rügen sollten spannender werden, als noch angenehm ist.

Tabea hart am Wind am 28. September, im Kalmarsund

7.9.2018 von Borgholm nach Kalmar,
Etmal 27 sm

Trotz heftigen Windes segle ich nach Kalmar, wo ich um 23 h Tabea vom Bahnhof abhole. Die Ausfahrt aus dem Borgholmer Hafen gegen den Wind fordert 1 Stunde für 1 Seemeile. Mit schwachen 35 PS kommt der Motor kaum an gegen Wind und Welle. Oft bleibt das Boot an der Stelle oder wird rückwärts geschoben – selbstverständlich gerade in der Hafenausfahrt.

28.9. Kalmar – Kristianopel,
Etmal 32 sm

Achterlicher, dann raumer Wind mit bis 4 1/2  bft bei blauem Himmel. Wir sausen an Mörbylonga und Bergkvara vorbei, die wir vergangenes Jahr wegen unentwegten Kreuzens beide aufsuchen mußten. Tabeas erster richtiger Segeltörn ist ein gelungener Tag. Uns begleiten Trupps von Gryllteisten und Krähenscharben nach Süden. Abends in der Bucht von Kristianopel fällt eine Truppe Kraniche ein zum Nachtlager. Wie wir auf dem Weg nach Süden.

29.9. Kristianopel – Utklippan,
Etmal 36

Gemeinsames Ablegen mit den Kranichen. Einige wenige Schläge sind nötig und verlängern wie üblich den an sich kurzen Weg. Strahlend blauer Himmel. Abschied vom schwedischen Festland.

30.9. eingeweht auf Utklippan

Es pustet seit der Nacht und erst als es nach 36 Stunden ruhiger wird, hören wir das Heulen der letzten Seehundjungen von den Klippen.

1.10.2018 von Utklippan zum Hammer Havn
auf Bornholm/Dänemark
Etmal 55 sm

Morgens zu wenig Wind – wir nehmen den Motor zuhilfe, um heute noch anzukommen. Ab mittags 3, dann 4 bft, allerdings krempend drängt er uns vom Ziel ab, sodaß wir 1 Schlag kreuzen, und dann gegen 22 h Hammer Havn erreichen.

Die letzten 3 Stunden im Dunkeln bringen Sterne, weiß fluoreszierenden Schaum auf schwarzem Wasser. Die Leitfeuer Nordbornholms. Toll das. Mein zweiter Nachttörn meiner jungen Segelkarriere.

Hammer Havn hat wegen hohen Seegangs sein Leitlicht abgeschaltet. Wir irren vor der Hafeneinfahrt herum. Sie ist umgebaut worden, was im Garmin nicht erkennbar ist. Allein weil ich mit der starken Feuerwehrleuchte kontrolliere, finde ich die Einfahrt. Es ist kriminell, einem Hafen das Leitfeuer abzudrehen, wenn man wegen Seegangs keine Ansteuerungen möchte. Tabea war es seit Stunden zu kalt. Bis Hasle hätt sie nur mit Mühe durchgehalten.

2.10. eingeweht im Hammer Havn/Bornholm

Wanderung durch den Trollwald auf die Burg. Und nachts dann das unvergeßliche Abenteuer. Bei 9 bft krachen Wellen über die Hafenmole, prasseln aufs Boot. Wellen stürmen durch den Hafen. Die Rosebud, zu locker vertäut, ruckt 2 Leinen zuschanden. Gegen Mitternacht habe ich alle Leinen verdoppelt, die letzte zieht mich beim Dichtholen ins Wasser. Tabea schläft, keiner hört mich. Als ich mit dem Kopf wieder aus dem Wasser auftauche, schwimme ich an die Kaimauer. Zu hoch. Ich schwimme in meiner vollen Montur mit Schuhen an den Füßen weg von der Mauer. Ums Boot. Die Badeleiter der Rosebud ist die Rettung. Mit dem Gewicht der schweren nassen Kleider ziehe ich mich hoch. Die Leiter ächzt. Schwach schien sie mir schon länger. Triefend mache ich die letzte Leine fest. Dann runter in den Salon. Jetzt beginnt das große Zittern. Ich wecke Tabea. Sie macht mir zwei Milch mit Honig und zween Wärmflaschen und ich falle wieder ins Bett, wo ich herkam. Noch 3  Male muß ich raus, die Leinen dichter holen, kontrollieren. Halb vier verabschieden wir uns in unsere Kojen. Alls nochmal jutjejange.

3.10. eingeweht im Hammer Havn/Bornholm

Schock verarbeiten. Bin niedergeschlagen bis zu unfähig, aufzustehen. Doch kein Stehaufmännle. Aufstehen erst frühnachmittags. Dann erste Lebensregungen. Erster Wille, weiterzumachen. Gut, nicht allein auf dem Boot zu sein, ej. Danke Tabea.
Tabea erkundet auf 3-stündigem Spaziergang mit Jamie Feld und Wald und Wiesen.

4.10.2018 eingeweht im Hammer Havn/Bornholm

Tabea macht einen 2-stündigen Spaziergang zur Huk.
Meine Lebensgeister kehren lamsam zurück. Suche bereits nach dem geeigneten Tag, das Boot nach Rönne im Süden zu verlegen. Von dort ist der „Große Sprung nach vorn“ nurmehr 49 sm anstatt der 60 sm vom Hammer Havn.

5.10.2018 eingeweht in Hammer Havn

6.10.2018 von Hammer Havn nach Rønne/Bornholm/Dänemark
Etmal 20 sm

Obgleich wir kreuzen müssen und der Weg dadurch sehr lang wird, freuen wir uns, nun 51 statt 62 sm bis Sassnitz vor uns zu haben.

6.Oktober 2018 von Rønne nach Sassnitz
Etmal 51 sm in 9 Stunden

0630 h GZ: 0 Beaufort, Regen setzt ein.
Ausfahrt aus dem Hafen im Kielwasser der Fähre Rønne-Ystad bei spiegelglatter See.
0730 h: es beginnt zu pusten, Seegang 0,3 m
0735 h: 5 bft, Seegang 2m
0745 h: über 7 bft. Seegang über 4 m.
1000 h: 5 bft, Welle 4 m
1430 h: Huk an der Stubbenkammer, Welle 1,5 m, 4 bft.

Der Wind ist kein Thema. Das Groß dreimal gerefft, die Fock einmal, der Klüver bleibt drinne. Alles gut.
Es sind die Wellen von raumschots. Jede 24. kommt zu dritt: Drei Große Schwestern. Die halten mich all die Stunden am Steuer warm. Die erste Schwester legt mich oft quer nach Luv, die zweite läßt mich dann krängen nach Lee, die dritte gibt mir den Rest, läßt die Rosebud Wasser schöpfen im Lee. Heißt: Wasser in der Plicht. Nicht alles Wasser läuft brav ab; die Abläufe sind voller Hundehaare. Beim Ausgießen der randvollen Stiefel läuft das Wasser auch mal hoch in den Schritt. Und wieso tummeln sich auf dem Salonteppich der Rothmaler (Exkursionsflora. Atlasband!) und paar E-geräte in mählich steigendem Ballastwasser? Weil das Schlingern des Bootes Waschmaschine spielt in den Schapps mit Kerzen, Weinflaschen, Gemüsedosen. Wobei ein Plastikbeutelchen mit schwedischem Schwarzbrot bis zum Ansaugstutzen der Bilgepumpe findet und Plopp! in dessen Eingang verbleibt. In der Plicht am andren Ende der Bilgepumpe sitze ich mit allen Händen am Steuer und wundre mich und sorge mich: wieso pumpt die Pumpe nicht mehr? Dieweil das Wasser steigt. Erst im sassnitzer Hafen werde ich das rausbekommen.

7. Oktober Tabea kehrt heim, Bootsbesichtigung

Tabea tritt ihre Heimreise an. Das Boot wird ausgeräumt, getrocknet, sogar besichtigt: Istvan und Isabell aus Halle mit Zwillingen Arpad und Bela finden das Boot so schön, daß wir uns zur Besichtigung verabreden. Sie bringen Milchkaffee und Apfelkuchen mit und fragen Löcher in den Bauch zum Segeln, zum Boot besitzen. Danke liebe Familie Seidel.

8. Oktober 2018 von Sassnitz nach Freest
Etmal 25 sm

Absegeln der Saison 2018 bei blauem Himmel und teils 2 teils 4 bf. Im Greifswalöder Bodden verlegt eine Armada die Nordstream 2. Deren Anschlußstelle ist Lubmin, die Röhren werden von Mühlheim/Ruhr per Bahn nach Mukran gebracht, dort aufs Wasser verladen (Nord Stream 2)(Nord Stream 1)(erste Umweltprobleme mit der Pipeline im Bodden zeichnen sich ab). Bis November 2018 sind 200 km verlegt worden trotz der Absicht der USA, Firmen, die am Bau der Nordstream 2 beteiligt sind, zu sanktionieren. Im Hafen Freest freundliches Willkommen von Hafenmeister Dirk und Chefin Kirsten Dubs.

9. bis 13. Oktober Freest, Einwintern

Wasserfledermäuse trinken im letzten Tageslicht Wasser im Hafen. Kraniche sammeln sich hörbar jeden Abend auf den Maisfeldern. Die Tage im Häfelchen zwischen Traditionsbooten und Fischerkuttern genieße ich. Eine gute Atmosphäre. Da war Kröslin – Marina eines arabischen Scheichs und Liegeplatz für 500 Segelboote und 200 eigenen Charteryachten – ohne eigenen Stil.

Samstagnachmittag kommt mich Philipp abholen nach Berlin. Dort essen wir im arabischen Schnellrestaurant Hühnchenmenue. Kulturschock. Reizüberflutung. Multikulti. Eher bikulti.

Sonntagmittag kommt Hannah, holt mich im Wedding bei Philipp ab und übernimmt den größten Teil der Heimfahrt auf der Wahnsinnsautobahn. Schöne Fahrt zu zweit von 1300 bis 2200.

14. Oktober Heimkumpft in Stupferich

O ist das gut, wieder dahoim. Mann Frau Hund wiedervereint feiern. Die Rosebud liegt allein im freester Häfelchen.

Thomas Esche
sailingboat-based geographer/biologist/photographer/waldorfteacher on SY ROSEBUD, Home Port: Köpmanholmen/Västernorrland thomasesche@posteo.de

2 Kommentare

  1. Bin so froh, dass du dich retten konntest, Thomas! Ich wünsche euch gutes Segelwetter für den Rest der Strecke.
    Seid herzlichst gegrüsst aus Hawaii,
    Karin

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