Leseliste Winter ’21/’22

Die Enkelin. Bernhard Schlink (2021).
Faschistische Familienstrukturen in Ostdeutschland. Verstörend ist das happy end.

Rettung der Demokratie. Arno Gruen (2002).
Zur Psychologie der Gewaltbereitschaft bei Rechten und Linken. Wie Gewalt gegen sich und andere aus Kindheitsmustern entstehen kann. Dabei muß es ja nicht gleich kriminell werden … so möge man sich selbst erkennen.

Das Alter/La Vieillesse. Simone de Beauvoir (1970).
Das Leben der Alten – Perversion gesellschaftlicher Verhältnisse. Aktuell nach wie vor.

Über die Kriegskunst. Sun Tsu (500 v. Chr.)
Hätten wir ihn doch mit mehr Vernunft gelesen. Jetzt wäre zu prüfen, was Carl von Clauswitz dazu meint. Mit QUI DESIDERAT PACEM, BELLUM PRAEPARAT“ waren Vegetius, Cicero, Nepos, Platon sehr klar.

Wer wir waren. Roger Willemsen (2016)
Wir waren voll Wissen, voll Informationen – ohne Erkenntnisse. Aktuell wie zutreffend auch hinsichtlich des russischen Angriffs.

Im Weltinnenraum des Kapitals, Peter Sloterdijk (2005)
Amerika als Freund zu haben, ist gefährlich. Es wird unaufhaltbar sein im Verfechten eigener Interessen. … dazu Kapitel 39, „Anatomie einer Versuchung. Amerikanologie 2“

Essays, Michel de Montaigne (1580)
Zuviel des exagium. Weitschweifend bis zur Unlesbarkeit. Im erzkatholisch – traditionalistischem Duktus. Dies der nach eigener Aussage ständige Begleiter Karl Heinz Bohrers? Das schmälert meine grad erweckte Bohrerbegeisterung.

Marlene Streeruwitz (2014)
Man schäme sich fremd, über die Männergesellschaft auf der Frankfurter Buchmesse lesend.

Jetzt. Geschichte meines Abenteuers mit der Phantasie, Karl Heinz Bohrer (2017)
Des Literaturwissenschaftlers Begegnungen mit Habermas. Mit den „Revolutionären“ von 1968. Die unterschiedlichen Phantasiestrukturen für Zukunft: der ausgewiesenen Marxisten, der Stalinisten. Der unerträglich Moralisierenden. Seien es Linke, gendernde, coronaleugnende, klimaschützerische Ideologen… Gute Gedanken zu Briefeschreiben, zu Internet …

Das wirkliche Leben, Adeline Dieudonné (2020)
Ein Paukenschlag. Schwer erträglich. In 2 Nächten gelesen. Ohne aufhören zu können. Damit das endlich aufhört.

Abendflüge. Essays. Helen Macdonald (2020)
Wunderbare Beobachtungen. Genauso sah ich früher (in) die Natur. Sie schreibt wider mein Resignieren angesichts der Zerstörungen.

Der Spion, der aus der Kälte kam, John le Carré (1963)
Erstlingswerk. Gelungen, Plot, Stil. Gut übersetzt.

Der Mann, der den Zügen nachsah. Georges Simenon (1938). Psychogramm eines geachteten Bürgers, der seinen Halt verliert.

Maigret und der Mann auf der Bank. Georges Simenon (1953). Psychogramm eines Mannes mit Doppelleben.

Aufzeichnungen eines Käfersammlers, Stefan aus dem Siepen (2018). Kurzgeschichten, Plots, die verblüffen. Wollen. Gewollt-unterhaltend. Gewollt gehobener Stil. Ein Plot peut en cacher un autre. Peinlich. Wie ein Witzeerzähler inner Männerrunde, der kein Ende findet. Daß die Kritiken so gut sind, gibt zu denken. Der Stil barrierefrei.

Raumfahrer, Lukas Rietzschel (2021)
Familiengeheimnisse, Traumata. Leben in der DDR, Stasi manipuliert Bürger. Bespitzelung ist noch das Harmloseste. Nachkriegszeit in der DDR – Hineinrutschen von der einen in die nächste Ideologie. Wer in der alten was zu sagen hatte, kann jetzt nicht vor und zurück. Hängt in der Luft. Raumfahrer. DDR nach der Wende – Hineinrutschen von der einen in die nächste Ideologie. Wer in der alten was zu sagen hatte, kann jetzt nicht vor und zurück. Hängt in der Luft. Raumfahrer. Barrierefreier Stil.

Maigret und die kleine Landkneipe, George Simenon, 1931, geschrieben auf seiner Segelyacht Ostrogoth in Ouistreham, an der Mündung der Orne, Simenon at his best.

Murmeljagd, Ulrich Becher (1969)
„Wissen Sie, gnädige Frau, es hat wirklich gar keinen Sinn, sentimental zu sein.“
Es braucht Arbeit, hineinzufinden in seinen Stil. Der erinnert an Heimito von Doderer. Ist infernalischer.

Das Seil, Stefan aus dem Siepen (2012)
Es geht um die wichtigsten Dinge. Was genau ist spontan – unkonzentriert, verloren oder frei? Wie entsteht eine Frage? Wieso verfolgen wir Dinge zu Ende? Wieso können wir manchmal nicht aufhören? Sind wir unkonzentriert, gelangweilt, willens-unfrei? Unter welchen Umständen? – Die Adaption im spannend tiefgründigen TV-Film ist gelungenst, arte-tv im Januar 2022. Am Buch stört mich der betuliche Ton, der barrierefreie Stil.

Identität (Identity: The Demand for Dignity and the Politics of Resentment), Francis Fukuyama (2018)
Wie der Verlust der Würde unsere Demokratie gefährdet. Spannend, wie unmerklich man selbst Teil eines Problems werden kann.

Tagebuch 1660-1669, Samuel Pepys
Die gekürzte Ausgabe bei Reclam bietet nur Pepys‘ Theaterbesuche und Erwähnungen seiner weiblichen Eroberungen. Für wie läppisch hält man uns Leser? Viel spannender ist die 9-bändige Ausgabe bei „2001“: hierin wird deutlich, wie der Ausrüster der britischen Kriegsschiffe arbeitet: Aquise, Bestechung, Mannschaftsaushebungen, wissenschaftliche Materialvergleiche etwa schwedischen und lettischen Holzes für Masten. Spannender „alswie“ die Hornblower-Romane.

Nichts tun. Jenny Odell (2021)
[How to Do Nothing: Resisting the Attention Economy, 2019]
Aufmerksamkeit ist eine wichtige Ressource. Internetkonzerne entziehen sie uns. Um Geld mit ihr zu verdienen. Innehalten, achtsam sein, Nicht-Nützliches tun, wieder bei sich sein – wird schwieriger.

Den Wind im Gepäck. Über das einfache Leben auf einem alten Segelboot. Marc Bielefeld (2016). Immer wieder befriedigend zu lesen, wie schön mein einfaches Leben ist, das ich auf meinem alten Segelboot führe …

August, Peter Richter (2021)
Menschen am Pool.

Momentum, Roger Willemsen (2012),
Solche Reiseessays möchte ich so schreiben können. Gibts auch auf spotify runterzuladen, gelesen von Willemsen selbst.

Eine Jugend in Deutschland, Ernst Toller (1933)
Toller war im selben Krieg wie Jünger (Stahlgewitter) und Remarque (Im Westen…). Schreibt aber so gar nicht wie Jünger.

Bilder aus der Vergangenheit, C.J.Burckhardt (1932 ff)
So schreibt man heut nicht mehr. Und lesen schon gar nicht.

Adolf Hitler, Die Jahre des Aufstiegs, Volker Ullrich (2013)
Hitler ganz nah. Man glaubt seine Stimme zu hören – warm und ruhig. Seine private -im finnischen Zug.

Corpus Delicti. Ein Prozeß; Juli Zeh (2009)
Als hätte Zeh die Pandemie vorausgeahnt. Eine Gesellschaft, die das Gute will, das Böse tut. Sie betont u.a., “ daß die Datenspur eines Menschen Millionen von Einzelinformationen enthält, aus denen sich jedes beliebige Mosaik zusammensetzen läßt“. In einer Diktatur des Volks. Jeder wird verfolgbar. Und man tuts. Weil mans kann. Erinnert an durchorganisierte Unfreiheit ostzonesischer Verhältnisse.

Allegro Pastell, Leif Randt (2020)
Zeitdokument Innenleben deutscher Yuppies (gibts das Wort heut noch?) … ich traue meinen augen kaum … bekomme ich Mitleid mit diesen modernen jungen Leuten?, leben junge Erwachsene in unsren Großstädten so?, lieben die so? Wenn dem so ist, hätte der mehrfach nominierte Roman einen Preis verdient.

Norway, Judy Lomax (2016)
Ein rundum vollständiger Segeltörnführer für Segelyachten, der sich nun noch auf Fahrt beweisen muß.

Die Cultur der Renaissance in Italien, Jacob Burkhardt (1966)
Burkhardt mißversteht das petrarcasche Werk zur Besteigung des Mont Ventoux … wieweit zweifele ich nun am Urteilsvermögen dieses berühmten basler Historikers?

Die Lust am Untergang Friedrich Sieburg (1961)
Dieser alte Nazi ist auch ein Geistesverwandter. Oder isser kein Nazi? Was nicht sein soll, das nicht sein kann? Botschaftsrat des Deutschen Reiches in Paris, später bei der FAZ. Einer der wichtigsten Literaturkritiker Deutschlands.

Grieche sucht Griechin, Friedrich Dürrenmatt (1955)
So schreibt man heut nicht mehr. Auch der Plot ist nicht mehr halb so humorig heutzutag: Kleiner Mann heiratet große Liebe. Die Große Kurtisane. Letzteres erfährt er erst nach der Hochzeit. Die ganze Stadt lacht über ihn.
Die Liebe deiner Blindheit mußte zuerstört werden um der Liebe willen, die sieht und die allein zählt„. Diesen Satz zu lesen war das ganze zu lesen wohl wert. Nur daß ich keine Komödien mag.

Dem Leben entfremdet, Arno Gruen (2013)

Der Wahnsinn der Normalität, Arno Gruen (1987)

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, Marcel Proust (1913)

Seelische Trümmer (2010); geboren in den 50-ger und 60-ger Jahren: Die Nachkriegsgenerationen im Schatten des Kriegstraumas

Federball, John le Carré (2019); dies das nun wirklich letzte Alterswerk. Nicht ganz so stark wie gewohnt. Doch ein ganz guter Abschied.

Kartographie und GIS, Karl Hennermann (2006),
um die verschiedenen Projektionen zu verstehen, die je nach Inhalt einer Karte insbesondere einer seachart – notwendig werden

Der Hochsitz, Max Annas (2021); Annas schreibt aus der Sicht zweier jugendlicher Mädchen. Deren Anschauung ist eher getroffen als deren Sprache .

Morduntersuchungskommision. Der Fall Macamo. Max Annas (2019)
Unrechtsstaat DDR. Gut getroffen. Politik- und Geschichtsunterricht ohne Besserwisserei.

Die Mauer, Thriller, Max Annas (2016),
Leider barrierefrei geschrieben.

Francesco Petrarca, Le falimiari, IV1, de curis propriis (1356): Die Besteigung des Mont Ventoux; „… vix amicorum quisquam omni ex parte ydoneus videbantur … hic…prudentior ille quam vellem …“. Ja, es bleibt schwer, Mitsegler zu finden. Und was braucht es mindestens, ein Ziel zu erreichen?: velle parum est, cupias, ut re potiaris, oportet. Allein, expeditior via bringt uns stets vom Wege ab. Lateinisches Original etwa hier: https://mediumaevumweb.wordpress.com/2018/12/12/la-salita-al-monte-ventoso-petrarca-fam-iv-1/

Der Tintenfischer, Schorlau/Caiolo (2021)
Lohnt zu lesen nicht. Plot sosolala. Schreibstil wie für schlichte Geister. Barrierefrei.

The Nothing Man, Catherine Ryan Howard (2020)
Der Leser begleitet eine Autorin beim Schreiben ihres Buchs und der Reaktion des Mörders auf dies Buch, beides zeitgleich. Zweiebenen-Plot sehr gut, Übersetzung oder Stil durschnittlich.

Thomas Esche
sailingboat-based geographer/biologist/photographer/waldorfteacher on SY ROSEBUD, Home Port: Köpmanholmen/Västernorrland län thomasesche@posteo.de

2 Kommentare

    1. Danke, hatte nach dem Gymnasium nie aufgehört, Latein zu lesen. Merkwürdig?, ein ehemaliger Biolog und Geograph, der als Rentner auf einem Segelboot lebt. Und Latein liest.

Schreib einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.