Leseliste Sommer 2016

Heimito von Doderer in: Die Dämonen
Denn jedes wirkliche Gespräch bricht Tore in‘s Hier und Jetzt, in‘s So und So, ein Vorgang, der zur größten Unhöflichkeit, ja, Lieblosigkeit ausartet, gegenüber jedem, der nun einmal entschlossen ist, alles andere eher zu tun, als durch ein solches Tor zu gehen. Es sind das also Menschen, mit welchen man überhaupt nicht reden kann, da seien sie, wer sie sein mögen, die liebsten, die anständigsten, die energischsten, die intelligentesten. Man muß ganz einfach zu viel achtgeben. “Ain gebild, wann dich daz ueberkom, und du pist damit allainig und verlozzen, entgehet dir all anders, bist verlân“

Fred Vargas in: Fliehe weit und schnell
darum beten, „sich eines Tages in einem Refugium aus Stumpfsinn und Ohnmacht zusammenrollen zu können, um es nie wieder zu verlassen“

Fred Vargas in: Die dritte Jungfrau
ein Mann „mit jener … trügerischen Zärtlichkeit“         …

, die Ungewißheit bis zur Erstarrung zu lieben … sich verantwortungslos darin zu verlieren .. wenn man überhaupt nichts wußte, wozu sich dann aufregen?“          …
Da er gemeinschaftliche Diskussionen nicht sonderlich mochte, … langweilten ihn diese allgemeinen Debatten dermaßen, daß er sich nicht erinnern konnte, auch nur eine einzige von Anfang bis Ende verfolgt zu haben.“

Michel Houellebecq in: Die Ausweitung der Kampfzone, 1999
… daß heute jedermann zwangsläufig irgendwann in seinem Leben glaubt, gescheitert zu sein.“   …
Von allen ökonomischen und sozialen Systemen ist der Kapitalismus … das natürlichste. Da genügt … darauf zu verweisen, daß er das schlimmste sein muß.“   …
Daß die Freiheit nichts anderes sei als die Möglichkeit, Verbindungen verschiedenster Art zwischen Individuen, Projekten, Institutionen und Dienstleistungen herzustellen. … Maximum an Freiheit … (fällt zusammen mit dem) Maximum an Wahlmöglichkeiten. Mit einer der Festkörperphysik entlehnten Metapher nannte er diese Wahlmöglichkeiten ‚Freiheitsgrade‘“.

Marc Bielefeld, 2013
Wer Meer hat braucht weniger

Fred Vargas in: Es geht noch ein Zug von der Gare du Nord, 1999
Wenn nicht sicher ist ob oder wieweit der Mensch freien Willen besitzt, wie läßt sich behaupten, Pflanzen hätten kein Bewußtsein?   …

… und für ihn hatten Informationen nichts mit Wissen zu tun.“

André Gide in Les faux-monnayeurs, Die Falschmünzer, 1925
„On ne découvre pas de terre nouvelle sans consentir à perdre de vue, d’abord et longtemps, tout rivage.“ („Man entdeckt keine neuen Weltteile, ohne den Mut zu haben, alle Küsten aus den Augen zu verlieren.“ )

F. Scott Fitzgerald in Der große Gatsby
… dann fühlte er wohl, daß ihn seine ursprüngliche Welt nicht mehr wärmend umgab; er hatte sie längst verloren, und das war der hohe Preis dafür, daß er allzulange einzig und allein seinen Traum gelebt hatte.“

Berhard Schlink in Das Wochenende
„Er trug seine Zelle mit sich“

Peter Handke in Die linkshändige Frau, 1976
„Du hast dich nicht verraten. Und niemand wird dich mehr demütigen.“

Michel Houellebecq in Elementarteilchen, 1998
„… der Glaube an eine vernunftgesteuerte freie Entscheidung in Bezug auf das menschliche Handeln – eine der Grundlagen der Demokratie – … das Ergebnis einer Verwechslung zwischen Freiheit und Unvorhersehbarkeit …“ „Diesem Bedürfnis nach rationaler Gewißheit hat die westliche Welt schließlich alles geopfert: ihre Religion, ihr Glück, ihre Hoffnungen und letztlich ihr Leben.“

Vlado Kristl bei Peter Handke, 1978 und 2010
Einen Platz findet nur, wer ihn selber mitbringt“, Vlado Kristl, eingeblendet in Schlußsequenz von „Die linkshändige Frau“, dem Film von Peter Handke, 1978; sowie in „Immer noch Sturm“, Peter Handke 2010

Gila Lustiger in Erschütterung,  2016
Als die Banlieus brannten, wurden über 60 öffentliche Bibliotheken gebrandschatzt, über 100 Schulen. Denn Schrift ist, was Unterdrückten als Unterdrückungsmedium begegnet – Formularen der Arbeitsämter, Rathäuser, Polizei, Meldeämter, Krankschreibungen. Die Aufständischen verließen nicht die Grenzen ihrer Banlieus. Es gab keinen Sturm der Bastille.  Mangels intellektueller, mangels strategischer Führung, mangels gemeinsamen Verabredens, mangels Kommunikation stürmten sie nicht Regierungs- oder Justizgebäude. Alles infolge des Versagens jeglicher Integrationsbemühungen seitens Behörden, Parteien, Politiker, Regierung. Lyndon B. Johnson hatte die „Affirmative Actions“  damit begründet, daß man einen, der nicht Laufen gelernt hat, nicht an die Startlinie stellen kann und sagen, lauf los. Er braucht Hilfe, Schutz. Frankreich ist ein Land der theoretisch Gleichen. Aber schon gar nicht die Schulabbrecher sind in der Landesschmiede Ganztagsschule zu Franzosen geworden…

Erskine Childers in The riddle of the Sands, 1903
über die Deutsche Wattlandschaft: – a „scene inexpressibly forlorn“

João Ubaldo Ribeiro in Sargento Getúlio, Brasil 1971
170 Seiten Innerer Monolog von einer Einsicht in die Seele wie bei Schnitzlers Leutnant Gustl – Abgründe

Enzensberger, Einzelheiten, 1962
über das Reisen mit Rückfahrkarte:
„Indem wir auf die Rückfahrkarte in unserer Tasche pochen, gestehen wir ein, daß Freiheit nicht unser Ziel ist, daß wir schon vergessen haben, was sie ist.“

Pompeius Magnus, Elegien, 106-48 v.Chr.
„Navigare necesse est. Vivere non est necesse.“ Mit der See begiebt sich der Menschen ins nicht eigenthümliche Element. Aber das vermögen wir. Die Grenzen der Natur zu überschreiten liegt in unserer Natur. So gehe man also in die Natur, überschreite seine Grenzen, löse sich vom nur Naturgegebenen. – Auch vom Gottgegebenen.

Heimito von Doderer, Die Dämonen, München 1956 (hier: München 1985)
zur Vergangenheit von Ländern, unserer Leben, unseres eigenen Lebens S. 109f: „…die Vergangenheit ist nichts Festliegendes, wir gestalten sie immer neu. Die ungeheuren Massen ihrer Tatsachen sind nichts, unsere Auffassung davon aber ist alles.“ zu vergeblicher Liebesmüh S. 971: „… jedes wirkliche Gespräch bricht Tore in‘s Hier und Jetzt, in‘s So uns So, ein Vorgang, der zur größten Unhöflichkeit, ja, Lieblosigkeit ausartet, gegenüber jedem, der nun einmal entschlossen ist, alles andere eher zu tun, als durch ein solches Tor zu gehen. Es sind das also Menschen, mit welchen man überhaupt nicht reden kann, da seien sie, wer sie sein mögen, die liebsten, die anständigsten die energischsten, die intelligentesten. Man muß ganz einfach viel zu acht geben.“   …   „Im Zentrum aber saß das allzeit erektionsfähige Organ für den Profit.“  zu Weltanschauung S. 1023:  „‘Ain Gebild, wann dich daz überkom, und du pist damit allainig und verslozzen, entgehet dir all anders, bist verlan‘. Damals nannte man es einen Dämon. Heute deklariert man das falsch, als ob es vernünftiger Herkunft wäre: eine Weltanschauung“  S. 1151: „Ich gehöre jetzt eigentlich nirgends mehr hin“…“Welch kostbare Lage … die einzige Lage, aus welcher man jemals erfahren kann, wohin man wirklich gehört“. S. 1158: „Intelligenz ist, idealisch genommen, nichts als Leitfähigkeit, Leitwilligkeit.“

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Von Thomas Esche

sailingboat-based geographer/biologist/photographer/waldorfteacher on SY ROSEBUD, Home Port: Köpmanholmen/Västernorrland län thomasesche@posteo.de

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