Lieber Leser,
in diesem Beitrag erfährst Du, wie ich nach Wochen der Bootsrenovation endlich ablege. Wie schwierig die ersten sehr langen Törns der Überfahrt nach Schweden sich gestalten. Wieviele schöne Dinge mir dann doch begegnen. Und einige persönliche Mitteilungen zu inneren Befindlichkeiten dieses lonely sailor. Dieser Beitrag beschreibt die Fahrt der SY ROSEBUD …
Von Ostvorpommern bis in den Kalmarsund
26.4. von Freest nach Sassnitz,
28 sm, 8 Stunden
Ablegen Freest 0915, Elke schweren Herzens zurücklassend. Gruusige Seekrankheit, viermal übergeben. In Sassnitz liegt SY ROSEBUD allein mit SY BRUTY von Gitti und Jörg aus Berlin.
27.4. eingeweht in Sassnitz
Ich kuriere meine Seekrankheit aus, babble mit Gitti und Jörg von der Bruty.
28.4. Von Rügen nach Bornholm, 56 sm, 11 Stunden, 2-4 bft WNW, sonnig, gegen Ende NW mit Regen
Tonne „Sassnitz-traffic“ war von der Hafenausfahrt aus nur durch einen verantwortungslosen Stellnetz-Slalom zu erreichen. Katastrophe.
Segeltag mit Seekrankheit und Frieren trotz vierer Schichten. Meist mit Motor begleitet, um über 6 Kn zu kommen, um noch bei Tageslicht das dänische Reusen- und Stellnetzslalom der bornholmschen Küste zu erreichen.
29.4. eingeweht im Hasle-Hafen
Morgens im Boot 3°C, Hundspaziergang nach Süden an Sandkliff und langem Sandstrand. Mit überglücklich pesender, sich in Algen wälzender, schwimmender Jamie. Schwimmen ging, denn der Sand ist warm und der Wind trocknet das Fell. Nach drei Stunden Rückkehr ins Boot, das sich auf gemütliche 10°C erwärmt hat.
30.4. eingeweht im Hasle-Hafen
Morgens im Boot 1°C, draußen 0°C.
Über Mittag 2 1/2 stündiger Hundspaziergang das Kliff Richtung Norden. Müd zurück. Wind läßt nach, läuft um, dreht zurück.
30.4., von Hasle zum Hammerhavn
Nachmittags um fünf hälts mich nicht mehr in Hasle. Der Wind soll laut windfinder mit 1-2 bft aus NW kommen. Ich lege ab zum Hammerhavnen, in bessere Startposition für Schweden. Es gibt aber nur glattes Wasser und keine Brise. Anderthalb Stunden motore ich, tefloniere mit Tabea – sie hat grad ihr Forumwochenende / Landmark hinter sich. In der Dämmerung laufe ich ein, werde im Hammerhafen auf den angekündigten Starkwind aus West warten und ihn aussitzen.
1.2. Eingeweht im Hammerhavnen. Une vague peut en cacher une autre
Nachts träume ich denselben Traum wie vor einem Jahr hier am selben Ort: ein Mann erschlägt mich. Vorher und nachher nie wieder geträumt. Also frage ich am nächsten Nachmittag im Haus oben an der Straße ein altes Ehepaar, ob hier vielleicht Schlimmes geschehen sein mag. Aber nein, davon wüßten sie nix. Honi soit qui mal y pense …
2 Stunden Hundspaziergang durch den Trollwald auf die Burg. Dort ist Jamie kaum abzuhalten, auf die Verteidigungsmauern zu blancieren, die 40 m senkrecht abfallen…
Abends pustet es schon. Steffen und Micha aus Dresden mit ihrer LA BELLA LIBRA legen an. Ich unterstütze beim Leinen ausbringen und leihe mein Verlängerungskabel. Sie kommen dann zum Nachtessen – Spaghetti mit Parasolsauce mit Sauerrahm und Walnußlikör. Gute Runde bis Zehne. Sie hatten mich auf Höhe des Adlergrund am Windpark nördlich Sassnitz überholt – eine fröhliche dresdner Yachteignergemeinschaft. Micha wünscht und bekommt das Walnußlikörrezept nach Art der Binninger Postfrau.
Mitternachts muß ich raus. Kennen wir schon vom vergangenen Oktober: Wogen jagen schäumend durch den Hafen. Ich lege mehr Festmacherleinen an, lege Stahlfedern in die Leinen, damit das Boot weniger gewaltsam in die Leinen ruckt. Ich halte mich wach mit Filmen, weil ich ahne, was für eine Nacht das wird. Nachts um 2, dann um 3, dann um 4 h muß ich aus dem Bette. Leinen sukzessive verstärken und fester belegen, damit das Boot nicht auf den Steg hüpft. Mit kochender Wärmflasche zurück in der ächzenden, schwankenden Koje, steht Jamie zitternd vor meinem Bett. Doch noch breche ich nicht meinen Grundsatz „kein Hund ins Bett“.
2. Mai 2019, eingeweht im Hammerhavnen
Auch den Tag über rollen die Wellen durch den Hafen. Mit zunehmender Kraft. Abends gegeneingeladen bei Steffen und Micha. Risotto mit grünem Spargel, den die beiden sich in Allinge erwanderten. Hochinteressante Gespräche über Ost-West, über die gewaltlose Revolution von unten, unsere Berufe etcetera etcetera.
3. Mai, eingeweht im Hamerhavnen
Ich erwache mit deutlicher Einsamkeitsdepri. Offenbar bekommt mir fröhliche Männnerrunde so gut, daß es dann zum flashback kommt. In früheren Zeiten war ich höchst gesellig – und das könnte mir offenkundig auch heute noch bekommen. Muß ich was ändern?
Zwei Stunden Hundspaziergang bessern die Lage. Ich kraxle um die Hammerodde, der Nordhuk Bornholms. Besteige den Leuchtturm, vom Wind schier runtergepustet. In jedem Strauch Klappergrasmücken, Fitis. Geflecktes Knabenkraut, Wildbienenkolonien an Sandwänden.
Schweißgebadet erreiche ich das Boot, um dann halbe Stunde später wiederum gegen die Kälte anzuessen: Zurcher Kalbsgschnetzeltes mit Rahmsauce, zuhaus schon eingemacht, hier an Spätzle und Sauerrahmsauce aus reduziertem hellem Kalbsfond. Mit Weinschorle zem schlürpfle. Hmmh. Rezept findet Ihr im Winterbeitrag. Abends Boot klargemacht für das Ablegen morgen früh: Backschaft, aufräumen, Navigation: Kurs anhand Seekarten absetzen. Aber …
4. Mai 2019 eingeweht im Hammerhavnen
… als ich um 4 h aufwache, pusten 6 Windstärken und jault das Rigg, die Wellen jagen wieder mal durch den Hafen und mir ist klar: weder die Brandung noch der Gegenwind werden mich aus dem Hafen lassen. Ich würde noch in der schmalen Haufenausfahrt quergelegt und genüßlich zerlegt. Das wollen wir doch nicht. Und psychologisch steckt mir der Oktobersturm zwischen Rønne und Rügen noch in den Knochen. Das Buch Schwerwettersegeln zu lesen, so lebenswichtig es sein mag, war zudem doch zweischneidig.
Also noch einen Hafentag. Selbst schuld. Ich wollte ja ein Segelboot, kein Motorboot.
Hundspaziergang in der Abendsonne. Ich sammle Bärlauch, angeregt durch Michas ail-des-ours-amuse-geule. Das Meer hat sich beruhigt. Geht es morgen weiter? Wie wird die Nacht?
5. Mai 2019 vom Hammerhaven/Danmark nach Utklippan/Sverige
51 Seemeilen, 11 Stunden
Endlich unter Segeln. Die Rosebud segelt unter meist blauem Himmel mit achterlichem Wind bei 3, zeitweise auch 5 Windstärken (Schaumkronen brechender Wellenkämme). Seegang knapp 2 m, also Wellen teils mannshoch. Die von backbord achterlichen Wellen lassen das Boot schwer rollen. Im Geschirrbord rumort es. Alles gut bis auf 3 Stunden seeübel. Da erwischt mich doch 1/2 Seemeile vor der Hafeneinfahrt Utklippan noch eine riesige schwarze Wolke. Waagerecht pfetzen Regentropfen. Böen bis 8 bft fegen die Wellen glatt. Rechtzeitig Segel eingeholt laufe ich unter Motor in die schmale Hafeneinfahrt ein. Dann kräfteraubendes Anlegen unter Böen. Da liegt der Segler EOS aus La Rochelle. Die drei Franzosen darinnen essen ungerührt zu abend. ‚S git sollene un sollene.
Die Seekrankheit gibt sich offenbar allmählich. Dafür schwankt man dann etwas an Land. Jamie ist ob der Ankunft sichtlich erleichtert und prescht über die Granitklippen, was sie nicht darf, hier ist Fågelskydd.
7. Mai eingeweht auf Utklippan
Strahlende Sonne, eisiger Wind empfangen uns beim Hundspaziergang – er wird sehr kurz. Wir inspizieren die vier Japannetze der Ornithologen. Beide Plumpsklos sind ungenießbar, der Haufen steht handbreit unter der Brille. Auch das gehört in einen Blog. Jetzt brauchts ein warmes Frühstück. Ich grüße alle, die morgens in geheizter Wohnung aufwachen.
Die kriminell falsche Garmin-Seekarte versuche ich durch einen Rundgang zu korrigieren:
6. Mai eingeweht auf Utklippan
Am nächsten Morgen erweisen sich die Franzosen als doch nette Menschen aus Cognac, also aus der Charente. Sie werden noch am Morgen weitersegeln und uns den Hafen überlassen.
Was tu ich den Tag über? Ich lasse mir eingemachtes Gulasch munden. Das hilft gegen die Kälte. Mit 6°C ist es hier nicht kälter als daheim in Karlsruhe. Ich lese alte Ausgaben der FAZ, und berechne die Kurse zu den nächsten Ziel- und Fluchthäfelchen. Und sorge für die Festmacherleinen des Schwells wegen; der Seegang draußen wird bei 6 bft stündlich schwerer.
Abends kommt doch noch eine deutsche Segelyacht mit zwei jungen Männern und der Hafenmeister, der nur im Sommerhalbjahr hier auf der Südklippe lebt, winters auf Mallorca ist, und fließend Deutsch spricht. Letztes Jahr gabs eine Gattin. Von erzählte der diesmal nix mehr … Wir sitzen abends am Kai, jeder mit einem Bier in der Hand. Ogott – wie echte teutsche Männer.
Lieber Thomas,
lese gerade deinen blog – und bin berührt von allem, was da zu lesen ist. Das grausige Wetter, das natürlich auch hier zu spüren ist: der Mai bei Temperaturen zwischen 5 und 10 Grad, viel Regen hier, die kleinen Bohnen, die ich gepflanzt habe, wagen sich in die Kälte, die Kartoffeln werde ich wohl noch nicht setzen (habe gerade mit viel Anstrengung ein kleines Beet aus dem steinigen Boden geschaufelt …) Spüre viel Respekt vor deinem Mut, nicht aufzugeben und trotz aller Widrigkeiten durchzuhalten, staune darüber, dass du deine kulinarischen Vorlieben beibehältst (Depri führt bei mir immer zu schlechter Ernährung) und mit Vorgefundnem anreicherst (Kräuter, Bärlauch – hier eher Mangelware), erschrecke über deinen Traum … (was hat das zu bedeuten?) und die nächtlichen Aktionen, um das Boot zu sichern … Aber ich freue mich auch über deine Begegnungen mit den Seglern – durchweg freundliche und aufgeschlossene Menschen, wie ich in Erinnerung habe: Die gemeinsame Leidenschaft schweißt zusammen und fördert doch die freundschaftlichen Regungen.
Thomas, du hast mal angerufen und ich konnte deine Nachricht nur partiell verstehen (Handy- Probleme …). ?
Ganz lieben Gruß
Klara