Leseliste Winter 2022/2023

Man kann nicht alle Bücher dieser Welt lesen, versuchen muss man es. (ganz frei nach Jorge Amado)

Denn du kannst weinen (Le sagouin), Francois Mauriac, 1951.
Guillaume – Kindheit in großbürgerlichem Haushalt in der Provinz. Cernès bei Langon/Garonne – und damit nicht weit der Domaine de Malagar. Großmutter und Vater vermögen den Jungen nicht zu schützen vor der verbalen Gewalt der Mutter. Umfassende Vernachlässigung. Empathische Wüste. Als Guillaume seine Lage erkennt – Katharsis.

Die Jahre. Annie Ernaux. 2008.
In Frankreich haben sich ähnliche Entwicklungen ergeben wie in Deutschland. Weniger erschreckend als desillusionierend. Es gibt keine Willensfreiheit des Menschen.
Daran anschließend nochmal lesen „Tochter aus gutem Hause“ von Simone de Beauvoir.

Vom Frühling und von der Einsamkeit. Gabriele Tergit. 2020.
Reportagen aus den Gerichten Berlins 1924 bis 1949. Kleine Leute stehen vor Gericht – ein Sittenbild der Weimarer Republik. Eigentlich jedoch steht die Epoche vor Gericht. Besser als jedes Geschichtsbuch.

Klassenbeste, Marlen Hobrack, 2022
Lehrstück ostzonesischer Sozialisation und dadurch kluger Blick auf „uns“ alle. Lehrstück bundesrepublikanischer Klassenverhältnisse. Herkunft prägt und fesselt mehr als Bildung.

Doppelleben, Alain Claude Sulzer, 2022
Roman über ein Dienstmädchen u ihre Herrschaft, zweier Brüder. Empathisch geschrieben – in dieser männerfeindlichen Zeit sogar gegenüber der zween Männer. Erzählkultur vergangener Zeit.

Warum es so schwer ist, ein guter Mensch zu sein. Armin Falk. 2022.
Der Verhaltensökonom zeigt ethologische und psychologische Gründe und Ursachen für unsere moralisches Handeln oder Nicht-Handeln auf. Das beruhigt natürlich auch allenthalbes schlechtes Gewissen.

Sechs Koffer. Roman. Maxim Biller. 2018
Es geht um Jüdisches, Juden, ihre Vertreibungsgeschichte, um jüdische Familiengeschichte in grausamer Zeit. Ausschließlich. Nie um Religion. Da ja nun das Jüdische nie etwas Rassisches war, in aufgeklärten Zeiten und für aufgeklärte Juden auch nichts zwingend Religiöses ist, bleibt nurmehr das Herkünftige. Kein Wunder, daß man Biller frug, warum er nicht „davon“ lassen könne.
Da ich im Text kein literarisches Meisterstück erkenne, frage ich mich, wieso die Rezensionen in so hohen Tönen Maxim Biller hochloben. Vielleicht ist es ja wie in der Politik: wer Israel kritisiert, wird der Antisemitie beschuldigt, wer jüdische Literatur … doch „honi soit qui …

Sieben Versuche zu lieben, Maxim Biller. 2020.
Gleiches Urteil wie zu „Sechs Koffer“ von 2018

1974, David Peace, 2005
Grand Prix Roman Noir – offenbar eine Auszeichnung für Gossensprache, Gossenthemen. Was eine Abortliteratur.

Interventionen. Essays. Michel Houellebecq. 1998.
Bevor man mit der mainstream-Presse Houellebecq als Rechten bezeichnet, soll man seine essyas lesen. Er analysiert die Mißstände nicht allein Frankreichs, sondern unserer europäischen Zeit. H. hält es für mölglich, daß das Maskuline nur eine unheilvolle Episode bildet. Die sogenannten femininen Werte Selbstlosigkei, Liebe, Mitgefühl, Treue und Sanftheit – heute ins Lächerliche gezogen – hält er für Werte einer höheren Kultur, deren Verschwinden eine Tragödie wäre.

Alle Zeit, Teresa Bücker, 2021.
Ein kluges Buch. Unlesbar durch maßloses Gendern („Freund_innenschaft“). Lesen im Fluß nicht möglich, wenn die Sprache Dich ausbremst. Deutsche Sprache könnte so schön sein. Hier ist sie allein sach-dienlich. So finden Form und Inhalt nicht mehr zusammen.

Die Einsamkeit der Seevögel, Gøril Gabrielsen, 2017.
Mutterseelenallein lebt eine junge Frau auf einsamer nordnorwegischer Insel. Frau versucht, Autarkie zu leben. Geht das? Zu welchem Ende? Erinnert mich an mein Einhandsegeln. Tragödien im Kopf – da braucht es keine äußern. Bedrückend. Lesenswert. Erinnert an Einhandsegeln.

Rombo, Esther Kinsky, 2022
lesenswert wie ihre Geländeromane

Galigai (Galigaї), Francois Mauriac, 1952.

Sünde (Le Mal), Francois Mauriac, 1924.
Ein unzeitgemäßer Roman. Lesenswert.

Silvergelatin. A Users Guide to Liquid Photographic Emulsions. Martin Reed e. Sarah Jones, 2001.
Alles, was zu beachten ist für kreatives photoarbeiten etwa auf Leinwand.

Jäger – Handwerk, Bruno Hespeler, 2015.
Nit nur für Jager, au fir de Biolog.

Der falsche Gruß, Maxim Biller, 2021.
Nach hochjubelnden Kritiken … trotzdem lesenswert. plot: nichtjüdischer Schriftsteller grüßt im Cafe einen jüdischen Schriftsteller mit Hitlergruß. Wennauch Billers Stil nicht den hochjubelnden Applaus verdient, der sich in Rezensionen findet.

Ein Mann seiner Klasse, Christian Baron, 2020.
Straft Marlen Hobracks „Klassenbeste“ nicht Lügen. Aus welchen „Verhältnissen“ kommend ein junger Mann sich rauskämpft. Der Familienvater die Familie beherrschend mit Schlägen und Alkohol. Schulsozialarbeiter kennen solche „Verhältnisse“ zum Erbrechen.

Zur See. Dörte Hansen. 2022.
Im ruhigen humorvoll emphatischen Erzählton wie gewohnt.

… und dann gibt es die Bücher, die nicht eigentlich Literatur sind … Kunsthandwerk? … auch wenn ein Franzos jetzt wieder in Lachen ausbrechen würde angesichts solch bierernster deutscher Unterscheidungen …

Verschwiegen. Eva Björg Aegisdottir. 2018.
Krimi. Sexuelle Gewalt Pädophiler. Unschöner doch guter Plot.

Stadtgrenze, Veit Bronnenmeyer, 2009
Krimi, keine Literatur, lebt mühsam vom plot

Finstersee, Matthias Moor, 2013
Krimi, keine Literatur, lebt halbwegs vom plot.

Der Choreograph, Håkan Nesser, 1988
Novelle nach dem Motiv des Ewigen Juden. So allerdings nicht rezensiert, wohl weil der normale Krimirezensient auf dem / für das Niveau nicht arbeitet.

Durst, Jo Nessbø, 2017
Krimi, keine Literatur, lebt allein vom plot, reiner Zeit-Vertreib.

Protokoll für eine Entführung. Ross Thomas. 2016.
Politthriller wie ein Carre. In Chandlers Sprache. Guter Plot.

Messer, Jo Nessbø, 2019
Krimi, keine Literatur, lebt allein vom plot, reiner Zeit-Vertreib.

Paradise. Zoe Beck. 2020.
Guter Plot. In der Zukunft. Deutsche Küste unter Wasser. Die Bevölkerung durchgesundet mittels Gesundheitsapp. Grauenvolle Zukunft.

Der Tod in den stillen Winkeln des Lebens. Oliver Bottini. 2017.
Landgrabbing in Rumänien. Spannender Plot.

Schwarzes Gold, Manotti, 2020
crime noir, aber guter plot

Himmel über London, Håkan Nesser, 2015
Plot schon auch spannend, Auflösung mau.

Die fünfte Frau, Henning Mankell, 1996
Spannender Plot, viel gesellschaftskritische Einlassungen. Vielleicht war die schwedische Gesellschaft uns voraus. Eher aber haben gute Schriftsteller gutes Gespür.



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Kategorisiert in Allgemein

Von Thomas Esche

sailingboat-based geographer/biologist/photographer/waldorfteacher on SY ROSEBUD, Home Port: Köpmanholmen/Västernorrland län thomasesche@posteo.de

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